Prof. Dr. Annette Blöcher, TH Köln & Joachim Hahn, complemus consulting GmbH
Ursache 4: Das Jagdfieber – „Ich will gewinnen!“
In einem strukturierten Verkaufsprozess wird ein rationaler Verkäufer regelmäßig versuchen, eine Konkurrenzsituation zwischen mindestens zwei interessierten Käufern herzustellen. Konkurrenz belebt das Geschäft und führt im Falle von M&A-Transaktionen erfahrungsgemäß zu einem höheren Verkaufspreis und zu attraktiveren Vertragskonditionen. Dieser erhöhte Kaufpreis ist kein Verhandlungsfehler auf Seiten des Käufers. Die Konkurrenzsituation führt bei einem disziplinierten Käufer lediglich dazu, dass er sein Verhandlungsmandat weiter ausschöpfen muss als in bilateralen Verhandlungen. Ein Verhandlungsfehler des Käufers wird es erst, wenn er durch die Wettbewerbssituation seine vorher festgelegten Verhandlungsgrenzen verschiebt und Kaufpreise anbietet, die über seiner ursprünglich festgelegten Kaufpreisobergrenze liegen. Wettbewerbssituationen begünstigen solche Verhandlungsfehler in besonderem Maße. Ein Bieterkampf spitzt sich in M&A-Transaktionen regelmäßig erst gegen Ende eines Kaufprozesses zu. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigt sich der Käufer schon seit drei bis fünf Monaten intensiv mit der Transaktion. Es bedarf besonderer Investitionsdisziplin, den Prozess – wenn nötig – in dieser Phase aufzugeben und als gefühlter Verlierer aus dem Rennen zu gehen. Genau diese Konstellation führt zu Verhandlungsfehlern, zu rational nicht begründbaren Preiszugeständnissen in Verhandlungen und zu einem Verschieben der Verhandlungsgrenzen.
Um dies zu vermeiden, ist es besonders wichtig, den Verhandlungsrahmen klar vorzugeben und von Anfang an einen maximalen Angebotspreis festzulegen. Dieser sollte aufgrund der Erkenntnisse der Due Diligence angepasst werden, ab diesem Zeitpunkt jedoch fixiert bleiben, sofern keine signifikant neuen Informationen erlangt werden. Eine Vorgabe nach dem Motto „Fangen wir einmal mit diesem Gebot an und sehen dann weiter“ öffnet gerade in wettbewerbsintensiven Prozessen Tür und Tor für Fehlentscheidungen und überhöhte Kaufpreise. Genauso wichtig ist eine Teamstruktur, in der außerhalb des Verhandlungsteams ein Entscheidungsgremium installiert ist, das über die Einhaltung des Verhandlungsrahmens wacht und damit Verhandlungsfehler verhindert.
Ursache 5: SunkCostEffekt – „Wir haben schon so viel investiert, wir können jetzt nicht aussteigen!“
Eng mit dem Effekt des Jagdfiebers hängt der SunkCostEffekt zusammen. Ausgaben der Vergangenheit sind für zukünftige Entscheidungen nicht relevant und dürfen bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt werden. Entscheidungen heute sind nur vorteilhaft, wenn der zukünftige Nutzen größer ist als die zukünftigen Kosten, unabhängig davon, wie viele Mittel in der Vergangenheit ausgegeben wurden – so die Theorie.
Es ist davon auszugehen, dass dieser Zusammenhang jedem M&A-Verantwortlichen klar ist. Dennoch kommt es gerade im Zusammenhang mit dieser Problematik der versunkenen Kosten oft zu Fehlentscheidungen, da bereits für ein Projekt ausgegebene Mittel und zeitliche Ressourcen der Vergangenheit gedanklich oft schwer zu ignorieren sind. Vielfältige Motive und emotionale Herausforderungen können eine nüchterne, rationale Entscheidungsfindung erschweren, wenn schon hohe finanzielle Mittel in ein Projekt investiert wurden. Das Eingeständnis eines Fehlers, Gesichtsverlust, der Gedanke, wieder ganz von vorne beginnen zu müssen, verleiten in der Praxis zu falschen Entscheidungen.
Für Verhandlungen bedeutet dies in aller Regel, dass das Target im Nachhinein höher bewertet wird, Synergien angepasst werden oder auch über die besonderen strategischen Vorzüge des Übernahmekandidaten höhere Prämien begründet werden, um ein Kaufvorhaben nicht abbrechen zu müssen. Ein in solchen Situationen beliebtes Argument, um M&A-Prozesse nicht abzubrechen, ist die Feststellung, wie schlimm es um das eigene Geschäft bestellt ist, wenn man diese Akquisition nicht durchführt oder, noch schlimmer, ein Konkurrent sich das Target stattdessen einverleibt. Konfrontiert mit solchen Argumenten sollte der Entscheider sich genau überlegen, ob er die Transaktion weiterverfolgt oder ob er nicht besser das eigene Geschäft einer strategischen Analyse unterzieht.
Zur Lösung der Problematik „Sunk Cost“ muss zuerst einmal festgestellt werden können, dass die Attraktivität einer Transaktion sich durch eine Änderung der Rahmenbedingungen negativ verändert hat. Hierfür sollte jede signifikante Änderung der ursprünglichen Bewertungsprämissen im Bewertungsmodell berücksichtigt und die Bewertung aktualisiert werden. Steigt der vom Verkäufer verlangte Verkaufspreis im Rahmen einer Auktion im Prozessverlauf an, so ist der neue Angebotspreis mit der Bewertung zu vergleichen. Es ist darauf zu achten, dass eine Erhöhung der Bewertung nur aufgrund stichhaltiger, nachweisbarer neuer Informationen stattfinden darf. Um persönliche emotionale Befangenheiten zu minimieren, ist es ratsam, in regelmäßigen Treffen des Lenkungsausschusses oder eines anderen Gremiums die fortgeltende Sinnhaftigkeit der Transaktion zu überprüfen.
Ursache 6: Ankereffekt – „Zurzeit werden ja sehr hohe Multiples bezahlt!“
Die Bewertung von Unternehmen sollte sich vornehmlich an den zukünftigen Cash Flows des Unternehmens und dessen Risikoprofil orientieren. In der Praxis ist der Unternehmensbewerter aber durch viele weitere Informationen (teils unbewusst) beeinflusst: Multiples vergleichbarer Transaktionen, Trading Multiples, geäußerte Kaufpreiserwartungen des Verkäufers, die bereitwillig kommuniziert werden, und viele andere Quellen. In der Verhaltensökonomie ist der dadurch entstehende Effekt unter dem Begriff Ankereffekt bekannt. Er besagt, dass Menschen bei der Bestimmung des Zahlenwerts für eine unbekannte Größe (Schätzwert) nahe bei der Zahl bleiben, die ihnen vorher genannt wurde. Anders ausgedrückt: Jede Zahl, die vorher als mögliche Lösung angeboten wurde, beeinflusst den eignen Schätzwert.
(Vgl. Beck, H.: Behavioral Economics (2014), S. 145-147.)
Das klassische „Schätzproblem“ in M&A-Transaktionen ist die Bestimmung des Unternehmenswerts. Erfahrene Unternehmensverkäufer machen sich diesen Effekt zunutze und versuchen den Kaufinteressenten oft subtil einen hohen Ankerpunkt für die Unternehmensbewertung vorzugeben. Dafür reicht oft eine beiläufige Bemerkung zu den momentan hohen „industrieüblichen“ Multiples. Wenig subtil, aber oft nicht weniger wirksam geben Verkäufer ihre klare Kaufpreiserwartung bekannt. Danach ist es einem Käufer nicht mehr möglich, diesen Ankerwert komplett zu ignorieren.
Da der Ankereffekt oft unbewusst wirkt, ist die Vermeidung von Verhandlungsfehlern nicht trivial. Eine mögliche Lösung ist die Durchführung der Bewertung durch einen neutralen Dritten, der kein „Briefing“ erhält, das bei ihm ebenfalls einen Ankereffekt auslöst sowie eine fundierte Plausibilisierung der Annahmen, welcher der Unternehmensbewertung zugrunde liegen.
Neben den genannten Fehlern gibt es noch weitere Fehlerquellen, die einen erheblichen Einfluss auf den Verhandlungserfolg haben können.
(Vgl. dazu Blöcher, A. (2016): Rationalität und Irrationalität im M&A-Prozess: Ergebnisse einer DAX 30 Studie – Teil 1, M&A Review 5/2016, S. 159-165 und Blöcher, A. (2016): Verhaltenstheoretische Phänomene im M&A-Prozess: Ergebnisse einer DAX 30 Studie – Teil 1, M&A Review 5/2016, S. 166-173.)
Prof. Dr. Annette Blöcher ist Professorin an der Technischen Hochschule Köln. Sie lehrt, forscht und berät zu den Themenbereichen Mergers & Acquisitions, Entrepreneurship und Change Management. Sie verfügt über langjährige praktische Erfahrungen in den Bereichen Unternehmensbewertung, Due Diligence und Post Merger Integration, die sie in über zwölf Jahren bei Deloitte und PwC gesammelt hat.
Email: annette.bloecher@th-koeln.de
Joachim Hahn ist Gründer und Geschäftsführer der M&A Boutique complemus consulting. complemus consulting ist spezialisiert auf die ganzheitliche Transaktionsberatung aus einer Hand. Zu den Mandanten zählen sowohl internationale Konzerne als auch der Mittelstand.
Email: j.hahn@complemus-consulting.com
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