1. Einleitung
Die momentane Marktsituation und der steigende Einfluss der Politik stellen die Energieversorger vor große Herausforderungen. Mit gefallenen Rohstoffpreisen, Brennelementesteuer, Vollauktionierung der CO2-Zertifikate ab 2013 sowie nicht zuletzt dem Ergebnisdruck im Gasgeschäft hat E.ON in den nächsten Jahren wesentliche Herausforderungen zu meistern.
Besonders das Marktumfeld in Europa zeichnet sich durch eine stärkere Einflussnahme der Politik und einen langsam wachsenden beziehungsweise teilweise stagnierenden Energiebedarf aus. In Schwellen- und Entwicklungsländern hingegen steigt die Energienachfrage stetig und es besteht – sowohl systemseitig als auch technologisch – ein großer Bedarf an hervorragendem Knowhow im Energiegeschäft.
Vor dem Hintergrund dieses Marktumfelds hat E.ON vier strategische Schwerpunkte definiert:
- 1. Europa – Synergetische und fokussierte Aufstellung
- 2. Performance – Effizienz und effektive Organisation
- 3. Investitionen – Weniger Kapitaleinsatz, mehr Wert
- 4. Außerhalb Europa – Gezieltes Wachstum
Im Rahmen des gezielten Wachstums außerhalb Europas sollen über die bestehende Geschäftstätigkeit in USA und Russland hinaus weitere attraktive und wachstumsstarke Länder für konventionelle und erneuerbare Energien identifiziert und erschlossen werden. Dabei steht im Vordergrund, komplementäre Kompetenzen zu bündeln und die Märkte im Sinne einer „cleaner and better energy“ zu entwickeln.
In einem ersten Schritt zur Umsetzung dieser strategischen Stoßrichtung erfolgte eine eingehende Analyse ausgewählter Regionen und Länder in Bezug auf deren wirtschaftliche, demografische, politische und regulatorische Rahmenbedingungen sowie deren zukünftigen Energiebedarf. Aus dieser Analyse resultierten die Zielländer Brasilien, Indien sowie die Türkei, die alle ein überdurchschnittliches Wachstumspotenzial, eine robuste Binnennachfrage und gleichzeitig einen massiven Bedarf an neuen Kraftwerkskapazitäten aufweisen.
Hinzu kommt, dass alle drei Länder offen gegenüber neuen Marktteilnehmern sind und über ein stabiles Regulierungsumfeld verfügen.
Nach der Entscheidung für Brasilien als ein Zielland wurde ein vierköpfiges lokales Team in Brasilien bestehend aus Kaufleuten und Technikern installiert. Das lokale Team hat die Aufgabe, Kontakte zu Marktteilnehmern, Politik, Behörden und Beratern zu etablieren, und berichtet direkt an die Zentraleinheit E.ON International Energy. E.ON International Energy ist im Zuge der strategischen Neuausrichtung als verantwortliche Organisationseinheit zur Erschließung der Zielmärkte außerhalb Europas gegründet worden.
Durch die nicht vorhandene Präsenz auf dem brasilianischen Markt war organisches Wachstum ausgeschlossen und damit klar, dass eine Markteintrittsstrategie in der einen oder anderen Form als M&A-Transaktion durchgeführt würde. Die entscheidende Frage war, ob man den Weg einer Komplettübernahme eines lokalen Wettbewerbers wählen oder den Markt gemeinsam mit einem starken Partner im Wege eines Joint Ventures erschließen sollte.
2. Joint Venture versus Direkteinstieg
Unabhängig von E.ONs Situation im Speziellen hat die Gründung eines Joint Ventures den Vorteil der Risikoteilung und Bündelung von Fähigkeiten und Ressourcen. Besonders beim Eintritt in neue Märkte können mit einem Joint Venture die Marktkenntnisse eines lokalen Partners mit der Technologiekompetenz des Markteintrittskandidaten gebündelt werden. Dem gegenüber sind Joint Ventures in der Regel mit einer höheren Komplexität verbunden, mindern die Flexibilität der Partner und erfordern es, unterschiedliche Unternehmenskulturen und Interessen in Einklang zu bringen. Der Direkteinstieg mittels einer Akquisition ist in der Regel die einfachere Transaktion und bietet mehr Flexibilität bei der Ausgestaltung des zukünftigen Geschäfts. Gleichzeitig erfordert die Akquisition eines Unternehmens oft anfangs einen höheren Kapitaleinsatz und birgt speziell beim Markteintritt Risiken, die nicht durch die Erfahrung eines lokalen Partners gemildert oder vermieden werden können.
E.ON als im Kern europäisches Unternehmen, das seine internationalen Aktivitäten außerhalb Deutschlands weitgehend erst in der vergangenen Dekade aktiv vorangetrieben hat, verfügte bis dato über keine Niederlassung oder Repräsentanz in Brasilien. Es bestanden keine lokalen Kontakte zu Politik, Regulierungsbehörden oder lokalen Wettbewerbern. Managementressourcen mit entsprechenden Sprachkenntnissen oder Erfahrungen in Südamerika waren in der E.ON-Organisation nur in begrenztem Umfang vorhanden. Hinzu kommt, dass der Energiesektor als regulierungsintensive Branche ein tiefgehendes Verständnis der lokalen Gesetzgebung und Regulierung sowie Kontakte zu den wesentlichen Stakeholdern erfordert.
Der Direkteinstieg mittels Akquisition eines lokalen Unternehmens hätte die oben genannten Probleme lösen können. Mit Closing der Transaktion hätte man über eine funktionsfähige Gesellschaft verfügt, die idealerweise sämtliche Anforderungen erfüllt hätte. Je nach Transaktionsumfang wäre man mit einem Schlag ein mehr oder weniger signifikanter Wettbewerber auf dem Markt.
E.ON hat bewusst einen anderen Weg gewählt und sich für die Gründung eines Joint Ventures entschieden. Vor dem Hintergrund des strategischen Schwerpunkts „weniger Kapitaleinsatz, mehr Wert“ sollte nur ein Teil des Investments in den Erwerb eines bestehenden Geschäfts fließen, der größere Teil aber sollte dazu dienen, mit einem starken Partner mit komplementären Kompetenzen den Markt zu entwickeln und ein Geschäft gemeinsam aufzubauen. Als Partner für dieses Vorhaben wurde der brasilianische Energieerzeuger MPX Energia S.A. (MPX) identifiziert. MPX, ein Unternehmen der EBX-Gruppe, ist ein brasilianisches Energieunternehmen mit Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit in der konventionellen Stromerzeugung, dem Betrieb von Kohleminen und der Förderung von Erdgas in Südamerika. Mit einem Projektportfolio von insgesamt 14 Gigawatt neuer Erzeugungskapazität will das Unternehmen zu einem führenden privaten Stromerzeuger in Brasilien werden. Abbildung 1 veranschaulicht, wie E.ONs Markteintrittsstrategie durch die Partnerschaft mit MPX umgesetzt wird.
Die komplementären Kompetenzen, die eine ideale Voraussetzung für ein erfolgreiches Joint Venture sind, führen in der Phase der Joint-Venture-Gründung oft zu einer Asymmetrie der Interessen und Schutzbedürfnisse, was die Gründungsphase vor gewisse Herausforderungen stellt. So ist es für den Neuling auf dem Markt beispielsweise wichtig sicherzustellen, dass Aktivitäten im Betätigungsfeld des Joint Ventures vollständig durch das Joint Venture abgedeckt werden. Der dynamische, lokale Partner legt Wert darauf, dass das Joint Venture seine Wachstumsziele nicht gefährdet oder sein Wachstum gar verlangsamt. Die Herausforderung ist es, diese unterschiedlichen Interessen im Joint-Venture-Vertrag in nachhaltige Regelungen zu übersetzen, die eine dauerhafte Zusammenarbeit ermöglichen.
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